Grenzenloser Machterhalt

Von Stefan Pinkenburg

Wenn es für Politiker*innen, Staatschefs, Präsidenten, Kanzler*innen, Ministerpräsidenten oder wie sie sich auch alle nennen mögen zu Hause, im eigenen Land, also innenpolitisch gerade mal nicht gut läuft, wenn das Volk gegen die aktuelle Politik sehr stark und immer und immer wieder aufbegehrt, wenn es protestierend auf die Straße geht und lautstark Änderungen im eingeschlagenen Kurs oder sogar Rücktritt fordert und wenn dann auch noch die sowieso schon auf tönernen Füßen stehende Vielparteienkoalition an allen Ecken und Kanten auseinander zu bröckeln droht, ja dann wird es ganz eng für so einen Menschen. Und wenn dann auch noch zusätzlich die eigene Justiz wegen Korruption, Veruntreuung, Meineid oder sonstigen Missetaten hinter so einem Staatsmann oder so einer Staatsfrau her ist, wenn ein öffentlicher Prozess und sogar eine offizielle Verurteilung droht, dann ist die ganze, so sehr geliebte Regierungsmacht auf das aller Äußerste in Gefahr.

Das Menschen, die sich in solchen Positionen befinden, allzu sehr in die Macht verliebt sind, sie sehr, sehr gerne ergreifen und bis aufs Blut verteidigen, um sie ja nicht wieder zu verlieren, sondern sie zu behalten, versteht sich von alleine.

Solch einem, so in die Enge getriebenen  Machtmenschen kann nur noch ein wirklich sehr großes Ereignis und darauf folgend, eine wirklich sehr große Tat retten.

Eine Katastrophe wie zum Beispiel ein Erdbeben, eine Überflutung von weiten Landesteilen oder ein sehr starker, alles zerstörender, Hurrikan wäre jetzt für solch einen strauchelnden Politmenschen eine willkommene, innenpolitische Bühne. Mann könnte sich wunderbar medial in Szene setzen, sich bei allerlei Hilfeleistungen fotografieren oder filmen lassen, man kann vor laufenden Kameras sein tiefes Mitgefühl ausdrücken sowie schnelle, unbürokratische und großzügige finanzielle Hilfe versprechen. Man würde als zupackender, wegweisender, standhafter und aufrichtiger Mensch in allen Lebenslagen und Situationen dargestellt und gezeigt werden. Man wäre der alles überstrahlende Held, der alles und jeden im Griff hat, ja der alles wieder, wie immer zum Guten wendet.

Nun aber vermag nicht einmal der cleverste, der pfiffigste und der mit allen dreckigen Wassern gewaschene, hilfebedürftige Machtmensch, solch eine fürchterliche Naturkatastrophe herbei zu reden. Und kann man dann wirklich nicht länger darauf warten, ja dann muss etwas anderes her.

Wenn sich aber im eigenen Land kein Löschmittel finden lässt, welches das machtfressende Feuer schnell und ohne allzu viel stinkenden Rauch erstickt, dann droht eben diese Macht zu schwinden, verloren zu gehen und man muss sich dann wohl notgedrungen außerhalb der eigenen vier Wände nach passenden Alternativen umschauen.

Gibt es dort nicht einen Nachbarn mit dem man, ohne dass man sich selbst zu sehr auf- und hingibt, große Sachen vereinbaren, verabreden und beschließen kann oder gibt es da etwa nicht jemanden mit dem man immer noch eine alte Rechnung offen hat, die zu begleichen wäre? Säbel rasseln, Druck aufbauen, Forderungen stellen, gewinnen und dann groß und als heroischer Sieger im eigenen Land dastehen, der das Wohl der Nation und sein eigenes Ego vergrößert hat.

Solche Ereignisse können, tatsächlich aber nur in manchen Fällen, für solche Machtmenschen und sei es auch nur temporär, hilfreich sein.

Und genau so ein, wenn auch sehr brutales, grausames und unentschuldbares, Ereignis ist dem israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, mit dem mörderischen Überfall der Hamas auf Israel, quasi vor die Füße geworfen worden. Welch göttliche Fügung hat gerade bei ihm und zu diesem Zeitpunkt dafür gesorgt, dass er als Retter und Rächer Israels auftreten und glänzen kann?

Viele Warnungen vor einem bevorstehenden Angriff sowohl aus Israel selbst wie aber auch aus dem Ausland wurden einfach wissentlich von ihm ignoriert, heruntergespielt und in den Wind geschossen.

Und er dachte von Anfang an gleich noch einen Schritt weiter. Nicht nur Rache für den Terroranschlag und die völlige Vernichtung der Hamas, sondern gleich den ganzen vollkommen von der palästinensischer Bevölkerung gesäuberten Gazastreifen als Geschenk an das israelische Volk und an seine ultra-rechts gerichtete Regierungskoalition als Zugabe obendrauf, sollte es sein. Wenn er mit solch einer Gabe auf dem Silbertablett diesen Konflikt beenden und als strahlender Sieger daraus hervorgehen würde, ja dann würde seinem, dem Untergang schon geweihtem Politstern noch einmal ein neuer, noch hellerer, Glanz verliehen werden. Er könnte seine Macht erhalten, ausbauen und weiter regieren. Und dazu war und ist ihm natürlich jedes erdenkliche Gewaltmittel recht.

Nun zeigen uns hoffentlich die nahe Zukunft und später die Geschichtsbücher die vollumfängliche Wahrheit, den richtigen Sachverhalt und den exakten Ablauf der Ereignisse vor, während und nach dem 7. Oktober 2023 und zwar auf beiden Seiten.

Was hat die Führer der Hamas dazu bewogen solch einen brutalen und grausamen Überfall auf Israel zu planen und genau an diesem Tag auszuführen? Was meinten sie denn,  welche Reaktion von Israel darauf folgen würde? Ein Gedanke wie "was passiert danach " hat bei ihnen wohl nicht stattgefunden. Die Vergangenheit muss doch auch ihnen gezeigt haben, dass Israel auf solch eine Tat immer mit sehr heftigen Maßnahmen reagiert. Und dass dieser Anschlag, dieses Massaker an der jüdischen Zivilbevölkerung dem innenpolitisch sehr umstrittenen, angeschlagenen und strauchelnden Staatschef Netanjahu gerade zu recht kam, um weiterhin mit sehr starker Hand und mit äußerster Brutalität im Kriegsrecht zu agieren und zu regieren, müsste ihnen doch wohl klar gewesen sein.

Und die Reaktion Israels ließ auch nicht lange auf sich warten. Mit äußerster Brutalität und ohne Rücksicht auf die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen ging auf Geheiß von Netanjahu die israelische Armee von Anfang an vor. Der Verlust jeder Achtung vor dem menschlichen Leben und die vollkomme Ignoranz von Menschenrecht, Menschenwürde und Humanität zeichnen vor allem die Luftschläge und der Artilleriebeschuss mit schweren Geschossen aus. Solche Angriffe machen keinen Unterschied zwischen Hamas Kämpfern, kleinen Kindern, Frauen, Männern oder alten Menschen, nein sie sollen nur zerstören, vernichten und vielfachen Tot bringen.

Das unfassbar grausame Resultat dieses doch nur einseitigen Waffenganges sind bisher weit über 50.000 tote Palästinenser*innen, weitgehend völlig zerstörte Häuser, Krankenhäuser und Schulen, die Zerstörung aller weiterer, wichtiger Infrastruktur im Gazastreifen sowie der Entzug aller lebenswichtigen Ressourcen wie zum Beispiel Strom, Wasser, Nahrung und ärztliche Versorgung.

Wie Amnesty International schon vor längerer Zeit auch anhand von diesen Tatsachen festgestellt und in einem fast 300 Seiten langem Bericht dokumentiert hat, erfüllt dies alles den völkerrechtlich schweren und strafbaren Tatbestand des Genozides.

Und so kann man nur hoffen, dass alle diejenigen, die sich schuldig gemacht haben, die die Menschenrechte mit Füßen getreten haben und denen die Menschenleben egal sind zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden.

Aber auch die Politiker*innen, die Medienvertreter*innen und wir alle hier in Europa, gerade aber auch in Deutschland, müssen uns fragen, ob wir alles getan haben. Ob wir aufgestanden sind und unsere Stimme erhoben haben, um diesen Genozid am palästinensischen Volk anzuklagen, zu verurteilen und zu verhindern oder ob wir uns weggedreht, nicht hingesehen und geschwiegen haben? Warum wurden und werden weiterhin Waffen nach Israel geliefert und warum berichten die Medien nur so sehr einseitig?

Erst wenn die mahnenden Stimmen immer lauter und immer mehr werden, wenn immer mehr Menschen die Wahrheit erkennen, sehen, begreifen und benennen, wenn immer mehr Tatsachen der Gräueltaten der israelischen Täter ans Licht kommen, wenn nicht mehr geleugnet werden kann und wenn dann die Stimmung umschlägt, ja dann werden auf einmal alle sagen, dass sie es schon immer gewusst, gesagt und dass sie alles getan haben.

Zu spät kommt das dann allerdings für die unerträglich vielen zu beklagenden Menschen die ermordet worden sind.


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