Gedanken zu den Medien im Allgemeinen und ihrer Rolle während des Genozids im Gazastreifen. Oder: Mut zum Journalismus
Von Stefan Pinkenburg
Weil meine Frau Ariane und ich keinerlei Lust verspüren auf GZSZ, Dokusoaps a la Geissens, abgedroschene und hohle, billig in den USA produzierte Serien, immer flacher werdende Talkshows oder ähnlich überflüssige Fernsehsendungen und weil man sich über das neueste, wirklich wichtige Geschehen in der Welt auch woanders als nur immer in der Tagesschau informieren kann, haben wir uns mit voller Absicht und mit ganzer Überzeugung gegen einen Fernsehapparat in unserer Wohnung entschieden.
Leider muss man feststellen, dass, obwohl die Vielzahl der Sender in den letzten Jahren geradezu explodierte, die Qualität nicht auch im gleichen Maße gestiegen ist. Wenn man sich einmal die heutige Medienlandschaft, zum Beispiel in Deutschland, anschaut, so kann man erkennen, dass es einige wenige Großunternehmen oder Verlage sind, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, die sich den großen, gut bezahlten Kuchen teilen. Hier hat sich in den letzten Jahren sehr viel, und das leider nicht zum Vorteil, verändert. Und es ist zweifelhaft, ob es gerade gut und förderlich für die freie Meinungsbildung des Volkes ist, wenn diese Medien in den polarisierenden Händen von einigen wenigen sind.
In den USA, wo einer Werbung für Toilettenpapier mehr Sendezeit eingeräumt wird wie dem Schicksal von ausgebombten palästinensischen Menschen, ist die Medienwelt ganz klar nach den politischen Lagern zwischen Republikanern und Demokraten aufgeteilt. Da brauch man sich auch keinerlei Gedanken mehr zu machen, ob man gut und umfassend informiert ist. Man glaubt es und weiß es einfach.
So informieren wir uns also via Internet, auf unseren Handys, unserem Laptop oder auf unseren Personal Computern. Überall, zeitunabhängig und vor allem international und vielschichtig werden einem im Netz alle Neuigkeiten dargeboten. Ob Zeitungen, Illustrierte, Funk und Fernsehen, YouTube, Instagram oder wie sie alle heißen, überall kann man sich ausführlich und umfassend informieren. Sehr interessant dabei ist es zu sehen und zu begreifen, dass ein und dieselbe Nachricht in verschiedenen Ländern eine völlig andere Gewichtung oder Berichterstattung erfährt. Immer wieder sind wir über die verschiedenen Aussagen und Ansichten bei ein und derselben Nachricht erstaunt.
Andersherum sehen wir sehr oft, dass sich alle Medien in einem Land an ihren nationalen Presseagenturen bedienen und sich noch nicht einmal die Mühe machen den Text von dort zu verändern, geschweige denn selbst einmal zu recherchieren. Ein und dieselbe Nachricht taucht in verschiedenen Zeitungen auf und oft gleichen sie sich in Wort, Satzstellung und Zeichensetzung bis auf das letzte Komma. Das ist kein Journalismus, sondern abschreiben. In der Schule wäre das mit einem „Ungenügend“ benotet worden.
Gerade im Moment und in den vergangenen letzten 19 Monaten war aber auch das kollektive Schweigen fast aller westlichen Medien über den wahren Hintergrund und Sachverhalt des sogenannten Krieges im Gazastreifen nahezu unerträglich. Das Verschweigen, das Nichthinsehen und die stets einseitige, pro israelische Berichterstattung war schon sehr, sehr auffällig. Bei solch einem schweren Konflikt mit mehreren zigtausenden Toten nur auf der einen, der palästinensischen Seite, reicht es nicht die Meldungen und Veröffentlichungen nur der einen, der israelischen Seite, gutgläubig entgegenzunehmen, ohne auf den Wahrheitsgehalt, die wirklichen politischen und militärischen Ziele zu achten und angebliche Fakten ungeprüft durchzureichen und kommentarlos zu veröffentlichen, ohne dass die andere Seite gefragt, bedacht oder auch nur gesehen wird. Dieses Verhalten der Presse war und ist zutiefst beschämend und man muss sich die Frage stellen, was dieses schändliche Verhalten rechtfertigt und auslöst. Ist dieses allumfassende Schweigen, dieses kollektive Nichthinsehen, diese Verdrehung der Realität, diese nur einseitige Berichterstattung, diese Ignoranz, ist es von oben verordnet, ist es blanker Rassismus, ist es die jahrelange Gehirnwäsche in immer nur eine Richtung, ist es mangelndes geschichtliches Wissen, ist es reine Bequemlichkeit, ist es falsche journalistische Ausbildung oder falsch verstandene Solidarität Israel gegenüber, ist es unser nicht verarbeiteter Genozid an den Jüdinnen*Juden während der Nazizeit, ist es die Angst als Antisemit*in gebrandmarkt zu werden oder das allgemein verbreitete, westliche Bild auf Araber*innen und insbesondere der palästinensischen Araber*innen, ist es der westliche Hochmut immer über allen zu stehen oder die fehlende Verantwortung der Deutschen gerade der palästinensischen Bevölkerung gegenüber, die ja sogar schon vor der Existenz des israelischen Staates Opfer von Besatzung waren und immer noch sind. Alle diese Gründe und sicherlich noch viel mehr kann man nicht gelten lassen, wenn es um Menschenleben, Menschenrechte und Menschenwürde geht. Schlichte Dummheit kann es auch nicht sein, da ich nicht glaube, dass so viele studierte Medienvertreter*innen einfach nur dumm sind.
Mittlerweile wird im Ausland und sogar in Israel selbst, diesem Fehlverhalten der deutschen Presse und der deutschen Politiker*innen mit Kopfschütteln und Unverständnis begegnet und die offene Kritik und der Druck darauf wird Gott sei Dank immer deutlicher, schärfer und lauter.
Gerade wir Deutschen, unsere Politiker*innen und unsere Medienvertreter*innen haben aus unserer Geschichte heraus eine ganz besondere Verantwortung, der wir uns stellen müssen. Leider findet auch keinerlei wahrheitsgemäße geschichtliche Aufarbeitung, die zur Gründung des Staates Israel führte, statt. Dieses Thema findet sich nicht im deutschen Geschichtsunterricht, auch existieren kaum Artikel oder Berichte über diesen sehr komplexen und letztendlich brutalen Vorgang in der Presse.
Sicherlich ist guter Journalismus aufwendig, zeitintensiv und teuer, aber er sollte auch immer aufrichtig, ehrlich und vor allem objektiv sein. Dass Journalismus das eben nicht immer und überall ist, sollte und muss allen klar sein, die ihn konsumieren. Eine gewisse Skepsis, ein Hinterfragen und auch einmal bei anderen schauen, was diese zu dem Thema sagen, sollte man sich angewöhnen. Andernfalls kann man Gefahr laufen, sich doch allzu einseitig, allzu leichtgläubig zu informieren.
Medienmenschen haben nicht nur eine Verantwortung denen gegenüber, die Journalismus in jedweder Form konsumieren, sondern sie haben auch eine Verantwortung ihren Kollegen und Kolleginnen auf der ganzen Welt gegenüber. Jedes Jahr werden etliche Journalisten und Journalistinnen bedroht, verletzt, eingesperrt, gefoltert oder sogar ermordet, weil sie unbequeme Wahrheiten zu Tage fördern und veröffentlichen.
Allein in den letzten 19 Monaten sind weit mehr als 200 Medievertreter*innen durch israelische Bombenangriffe oder gezielte Kampfhandlungen im Gazastreifen getötet worden. Das sind mehr als im Amerikanischen Bürgerkrieg, den beiden Weltkriegen, dem Korea- und Vietnamkrieg, den Kriegen in Jugoslawien und in Afghanistan nach dem11. September zusammen.
Mittlerweile ist es ja leider salonfähig geworden, Journalisten und Journalistinnen öffentlich auf das Übelste zu beschimpfen, sie zu denunzieren, sie einzuschüchtern, ihnen zu drohen und ihnen vorzuwerfen, dass sie Fake News verbreiten, wenn das Berichtete nicht mit der Meinung, mit der Doktrin der Staatsmacht oder des Staatsoberhauptes übereinstimmt. Und lieber werden dann sogenannte „alternative Fakten“ auf eigenen Kanälen unter das gutgläubige Volk gebracht, denen dann leider allzu oft geglaubt und nicht widersprochen wird.
Aber auch wenn nach dem Motto gehandelt wird: „Gebt dem Volk Brot und Spiele und sie werden nicht aufbegehren“, so werden doch immer Menschen da sein, die die Wahrheit klar sehen, benennen, die aufbegehren, die sich Gehör verschaffen und die letztendlich auch gehört werden. Meistens, und das ist die Hoffnung und das Gute, setzt sich die Wahrheit durch. Dazu gehört aber allerdings ein beharrliches Benennen und Belegen der Wahrheit, ein starkes, mit eindeutigen Beweisen Widersprechen der Unwahrheit und eine journalistische Wach- und Klarheit. Es muss ein kollektiver Aufschrei durch die Presse, durch die Medien gehen, es muss geholfen, es muss unterstützt, es muss beigestanden werden, wenn Dinge verdreht, falsch dargestellt oder verschwiegen werden und wenn Journalisten und Journalistinnen an ihrer wichtigen und unverzichtbaren Aufgabe gehindert, verletzt oder getötet werden. Und wenn Politiker*innen es schon nicht tun, so können wenigstens Journalisten und Journalistinnen oder wir auch einmal einem sogenannten, angeblichen "Freund“ sagen, dass er sich gerade, schon wieder oder immer noch katastrophal verhält, dass er sich zum Massenmörder macht und dass derjenige, der am lautesten schreit, nicht der Klügste sein muss, der immer recht hat.
Und außerdem können und sollten heutzutage alle von uns tätig und aktiv werden. Denn alle haben die Möglichkeit, sich umfassend und überall zu informieren, sich eine eigene Meinung wirklich zu bilden und diese Meinung über die Sozialen Netzwerke zu verbreiten, mit anderen zu teilen oder Sachen von anderen zu liken und weiter zu verbreiten. Es gibt außerdem noch die Möglichkeit an Zeitungen und an Redaktionen zu schreiben. Viele andere Kanäle und Möglichkeiten stehen uns offen.
Nationale und internationale Organisationen rufen zum Unterschreiben von Petitionen auf, an denen man sich beteiligen kann, um somit die Regierungen zu zwingen, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Man kann Politikern und Politikerinnen direkt auf ihren medialen Kanälen begegnen, sie etwas fragen oder ihnen einmal seine Meinung sagen, sowie sie auf Missstände aufmerksam machen. Man kann immer wieder zum Beispiel in die Bundespressekonferenz hineinschauen und sich wundern, auf wie viel vielseitige Weise die gefragten Vertreter*innen der Regierung klugen und ernst gemeinten Fragen von wirklich guten Journalisten und Journalistinnen ausweichen können und diese auch entsprechend inhaltslos kommentieren.
Wir alle können und sollten uns richtig informieren und auf unsere Weise mitwirken Not, Leid, Gewalt und die Unwahrheit zu bekämpfen. Wir alle sind aufgerufen, etwas zu tun, damit Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt und letztlich auch unsere Demokratie bestehen bleibt. Denn wenn wir nicht handeln, tun es diejenigen, die uns beschneiden, die uns reglementieren und die uns ihre Meinung aufzwingen und beherrschen wollen. Es ist erschreckend zu sehen, wie Staaten sich verändern, wie diese Staaten immer und immer mehr, Stück für Stück sich nach rechts bewegen, wie diese Staaten nur noch national denken und nicht mehr nach links und rechts schauen, und wie, von ihren autokratischen Staatsoberhäuptern getrieben, die Menschen immer und immer mehr eingeschränkt und auf Linientreue eingeschworen werden. Nach dem Motto “Willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel ein“ wird dann mit dem politisch Andersdenkenden umgegangen, er wird kleingemacht, verhöhnt, ist immer der Böse und an allem schuld. Und das ist leider sehr oft nur der Anfang.
Bei all diesen Dingen dürfen wir einfach nicht schweigen. Und was dieses Schweigen, das Dulden der Masse ausrichten kann, hat uns die Geschichte gezeigt und hoffentlich gelehrt.
Denn wenn alle nichts tun, ändert sich nichts zum Guten und wenn alle nur schweigen, gewinnen diejenigen, die am lautesten schreien, auch wenn es die Unwahrheit ist, die in ihren Gehirnen existiert und aus ihren Mündern kommt.
Wir alle sind aufgerufen und gefordert aufzupassen, Einwand zu erheben und einzuschreiten, wenn es um die Wahrheit geht.
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